schmalkalden besuchDieser Tage scheint es uns kaum vorstellbar, dass fremde Menschen aufeinander zugehen, sich umarmen, sich nah zusammensetzen und miteinander lachen, diskutieren und sich kennenlernen. Tatsächlich, auch mir scheint es unwirklich und doch ist es eine Erinnerung an eine Begegnung vor gerade einmal vier Wochen, die mich rückblickend auf vielfältige Weise berührt.

Vom 6. bis zum 8. März 2020 machte sich eine kleine Delegation des Theodor-Heuss-Gymnasiums mit vielen anderen Recklinghäusern auf Einladung der Bundesregierung zu einem Bürgerdialog nach Schmalkalden auf.

Die kleine Stadt in Thüringen ist bereits seit 1988 partnerschaftlich mit Recklinghausen verbunden. Dieser Kontakt galt für die DDR damals als sogenannte außenpolitische Aktivität. Seitdem sind über 30 Jahre ins Land gegangen: Die friedliche Revolution, der Mauerfall und die Wiedervereinigung sind dabei historische Meilensteine der Städtepartnerschaft sowie der gesamtdeutschen Geschichte und Identität geworden.

Um das Jubiläumsjahr und die Meilensteine auf dem Weg zur Wiedervereinigung zu ehren, berief die Bundesregierung u.a. einem Dialogzyklus ein, bei dem Begegnungen und Gespräche zwischen Bürgerinnen und Bürgern ost- und westdeutscher Städte im Mittelpunkt stehen. Die Begegnung „Schmalkalden – Recklinghausen“ war der sechste von insgesamt sechzehn Bürgerdialogen und aufgrund des Corona-Shutdowns vorerst auch der letzte.

Im Austausch miteinander die Deutsche Einheit gestalten – so lässt sich das eigentliche Motto „Deutschland ist eins: vieles“ und dieses besondere Wochenende für mich zusammenfassen.

Bereits am Freitagabend konnte unsere Schuldelegation auf Initiative von Herrn Schürmann in einen fruchtbaren Austausch mit zwei Geschichtslehrerinnen des Schmalkalder Gymnasiums treten. Dieses Treffen außerhalb des eigentlichen Rahmenprogramms ermöglichte uns nicht nur ein Kennenlernen, sondern auch das zarte Knüpfen neuer Bande für zukünftige Kooperationen der beiden Gymnasien.

Der eigentliche Bürgerdialog fand dann am Samstag statt. „Alle Schmalkalder auf die eine Seite, alle Recklinghäuser auf die andere Seite.“ So begrüßte uns das Moderatorenteam und wir folgten der Anweisung. „So, und jetzt sucht sich jeder Schmalkalde jemanden auf der anderen Seite.“ Auf diesen Apell trafen die Teilnehmenden buchstäblich aufeinander – ein Bild, das in unseren derzeitigen „Corona-Alltag“ nicht hineinzuträumen wäre.

Es folgten intensive Diskussionsrunden z.B. darüber, ob es die sogenannte Einheit Deutschlands überhaupt gäbe, warum einige immer noch von „Ost“ und „West“ sprechen und wie wir zukünftig gemeinsam leben wollen. Ziel allen Dialogs: die Ausarbeitung einer Handlungsempfehlung zur weiteren Ausgestaltung des Einheitsprozesses an die Bundesregierung. Nebeneffekt des Dialogs: Kennenlernen diverser Persönlichkeiten, Einblicke in die Geschichte durch Zeitzeugenberichte, persönliches Hinterfragen der eigenen (deutschen) Identität.

Zudem erkundeten wir z.B. nachmittgas den idyllischen, durch zahlreiche Fachwerkbauten bestimmten Stadtkern Schmalkaldens und lachten gemeinsam beim Impro-Theater im Abendprogramm. Begegnung fand auch und besonders zu den Mahlzeiten statt, denn gereicht wurden städtespezifische Spezialitäten, wobei das Schmalkalder Rehgulasch mit Rotkohl und Klößen samt „VitaCola“ äußerst zu empfehlen ist.

Lis Marzinzik und Victoria Smolarz aus der EF begleiteten Frau Dorn, Herrn Schürmann und mich nach Schmalkalden. Als Schülerreporter bewiesen sie ihr journalistisches Geschick und erstellten mit drei 

Jugendlichen aus der Partnerstadt eine Video-Reportage, in der sie die Frage nach der vollzogenen Einheit thematisierten. Auch auf dem abschießenden Podium am Abend stellten sie sich souverän den Fragen der Moderation und berichteten von ihren Erfahrungen während der Interviews mit den anwesenden Teilnehmenden sowie Passanten in Schmalkalden.

Der Bürgerdialog „Schmalkalden – Recklinghausen“ steht auf vielfältige Weise für eine bereichernde und berührende Begegnung: Nicht nur, weil wir Teil des gelebten Einigungsprozesses sein durften, sondern v.a., weil diese Begegnungen so herzlich, so nah, so „berührend“ waren. Diese gelebte Menschlichkeit scheint mir Symbol für die gefestigte Städtepartnerschaft und Deutschland 30 Jahre nach dem Mauerfall zu sein. Diese Menschlichkeit lässt mich der Tage aber auch hoffnungsvoll die Zeit erwarten, wenn Menschen genesen sind, Kontakt-Verbote aufgeboben sind und Begegnung wieder analog stattfinden darf.

Informationsseiten zum Weiterlesen:

Bleiben Sie, bleibt ihr gesund!

I. Brocker